
Das Drama: Fünf Jahre Haft für einen Betrug, den es nie gab
Jahrelang saß Holger Thorsten Schubart hinter Gittern. Unschuldig, wie er betont. Hier ist die berührende Geschichte eines Aufsteigers, der tief fiel und wieder aufstand.
Es begann mit einer Forderung des Finanzamts Halle. Ein Vorsteuerabzug für ein Immobilienprojekt im Osten wurde nicht gewährt und sollte zurückbezahlt werden. Ein Irrtum, stellte sich später heraus. Dennoch wurde Schubarts Schadensersatzklage über mehrere Millionen DM abgewiesen. Mit der Begründung, das Finanzamt habe zwar einen fahrlässigen, jedoch nicht grob fahrlässigen Irrtum begangen.
Wer diese Geschichte nicht glaubt, den schicke ich zu meinem Steuerberater. Der sagt immer: „Steuerrecht ist gelebtes Unrecht.“
Schubart lebte damals auf dem Gelände seines Megaprojekts „Zietenterrassen“ in Göttingen. Ein ganzer Stadtteil auf dem Gelände der heruntergekommenen Zietenkaserne wurde saniert. Es sollte Schubarts Meisterwerk nach 10 erfolgreichen Jahren in der Immobilienwirtschaft werden. Die Krönung. Es wurde sein Untergang.
Die Finanzbehörde leitete ein Insolvenzverfahren ein. Ein italienisches Restaurant namens „Da Enzo“ am Firmensitz diente Schubart als noble Kantine. Dort saß er eines Mittags, als Insolvenzverwalter → Peter Knöpfel hereinkam und Schubart dessen goldene Uhr vom Handgelenk nahm. Es war der berühmte Klassiker „Tank Americaine“ von Cartier.
Das war zu viel für den erfolgsverwöhnten Schubart. Genervt verzog er sich in sein schmuckes Haus an der Côte d’Azur und widmete sich anderen Geschäften. Die Monate zogen ins Land und die Zietenterrasssen lagen brach.
Unterwegs zu einem Geschäftstermin an der Küste wurde Schubart eines Vormittags angehalten und verhaftet.
Man nahm mir mein Telefon weg und ich wurde nach Nizza gebracht, in einen Keller mit Käfigen, in denen man nicht liegen konnte, nur stehen oder sitzen. Telefonieren war verboten. In der Nacht kamen weitere Gefangene, es war viel Geschrei. Zur Verpflegung gab es nur Plastikflaschen mit Wasser und Baguette. Die Notdurft wurde im Käfig verrichtet, alles wurde am Morgen weggespritzt. Bis Montagmorgen blieben wir dort, dann wurde ich mit allen anderen an Händen und Füßen in Ketten gelegt und zum Gericht in einen Keller gebracht. Anwalt? Geht nicht. Ein Richter verfügte meine Auslieferung. Am Nachmittag wurden wir in einem Bus 5 Stunden lang rumgefahren bis wir unter viel Geschrei im berüchtigten Maison d’Arrêt d’Aix Luynes ankamen. Dort lebte ich 9 Monate lang unter menschenunwürdigen Umständen und hatte 39 schwere körperliche Auseinandersetzungen. Bis heute ist mein Körper von Narben aus dieser Zeit gezeichnet. Danach wurde ich für 3 Monate nach Marseille verlegt.
Insgesamt saß Holger Thorsten Schubart ein Jahr lang in französischer Auslieferungshaft und nichts geschah. Kontakt zur Familie war ihm während dieser Zeit nicht erlaubt. Einmal kam ein deutscher Konsularbeamter, der nach Alkohol roch, und brachte ein paar zerlesene Illustrierte aus der Heimat mit, sonst nichts.
Nach einem halben Jahr organisierte ich mir ein Handy. Ich war in der Gefängnishierarchie aufgestiegen. Es gab Kontakt mit meiner deutschen Assistentin. Gelegentlich führte ich heimliche Telefonate mit Anwälten, nur kurz und sehr verborgen.
Irgendwann flog man Schubart nach Hannover aus. In einem Lufthansa-Linienflug in der letzten Reihe. Dann ging es weiter ins Gefängnis nach Braunschweig, wo Schubart ein weiteres halbes Jahr in U-Haft saß. Davor lag er zwei Wochen im LKH Göttingen, wo Ärzte seine Haftverletzungen dokumentierten.
In Braunschweig machte ihm der Staatsanwalt ein Angebot und verpackte es in ein Schreckens-Szenario. Schubart drohen 30 bis 50 Prozesstage und am Ende 7 bis 8 Jahre Haft, sagte der Staatsanwalt. Um das abzuwenden möge er ein vorbereitetes Geständnis unterschreiben und käme auf diese Weise mit 4,5 Jahren weg.
Insolvenzverwalter Knöpfel (der mit der goldenen Cartier-Uhr) verfasste ein Gutachten, in dem der Schaden beim Projekt Zietenterrassen auf 7 Mio. DM festlegt wurde, für die Schubart privat haften müsse. Das Zieten-Projekt wurde als „Luftschloss“ bezeichnet und mit 1 DM bewertet, obwohl Schubart Millionen reingesteckt hatte. Dieses Gutachten wurde zur Grundlage der Anklage wegen Betrugs.
Eines Tages begegneten sich Schubart und Knöfel im Gerichtssaal. Da trug der Insolvenzverwalter eine Uhr am Handgelenk, die Schubarts geliebter Cartier verblüffend ähnlich sah. Vielleicht war es ja dieselbe Uhr.
Schubart: „Ich wurde zu einem falschen Geständnis verführt. Heute weiß ich, dass die mir keine Tat nachweisen konnten. Es gab nicht mal einen Vorsatz zur Schädigung und somit auch keinen Betrug.“ Trotzdem gestand Schubart, sich Vorleistungen der Baufirmen erschlichen zu haben, damit die Haft endlich zu Ende geht. Doch wider Erwarten wurde er für weitere 6 Monate in die Zelle gesteckt. Eine Erziehungsmaßnahme, sagte man ihm. Schubart verstand die Welt nicht mehr. Man wollte ihn fertigmachen, glaubt er.
Schubart: „Die haben sich aber gewundert. Keiner machte mich fertig, ich kam mit allen klar. Ich machte Yoga und lächelte, als um 5:45 Uhr morgens der Wärter brüllend in die Zelle kam und gegen das Bett trat. Mir wurde allmählich klar, dass ich Schuld heucheln musste, um in den offenen Vollzug zu kommen. Nach drei Monaten wurde ich entlassen.“
Der Albtraum war leider immer noch nicht vorbei. Schubart:
2005, als ich gerade 3 Monate frei war, wollte ich in die USA reisen, um einen Freund zu besuchen. Bei der Passkontrolle in Schiphol erfuhr ich mit Schrecken, dass ein Haftbefehl gegen mich vorlag. Ich dachte, da liegt ein Irrtum vor, und wanderte für zwei Wochen in ein holländisches Gefängnis. Dann wurde ich nach Stuttgart gebracht und mit weiteren Betrugsvorwürfen konfrontiert. Zu dieser Zeit betreute mich der schlechteste Anwalt, den ich je hatte. Ich erklärte den Beamten, es gebe doch einen Deal. Der Ermittlungsrichter meinte nur, was die in Niedersachsen machen, interessiere ihn nicht. Ich saß für ein weiteres Jahr in Stammheim in U-Haft und musste noch ein Verfahren über mich ergehen lassen.
Die Verurteilung aus Göttingen wurde aufgehoben und ein neues Urteil gefällt. Schuldig! Wieder gestand Schubart Taten, die er nie begangen hatte, weil man ihm eine verkürzte Haftzeit versprach. Später wurde er in die JVA Tegel verlegt und kam nach einiger Zeit in den offenen Vollzug. Anfang 2007 war Schubart endlich frei. Seit der ersten Verhaftung in Südfrankreich am 12. Juni 2002 waren 4,5 Jahre vergangen.
Illustration → Marjorie Monnet
Ick bin total unschuldig, Herr Richter, so wahr ick hier stehe. Der is mir wirklich 3 Mal in et Messer jerannt.
Für mich liest sich das sehr authentisch und ich hoffe nur, nicht auch einmal in eine Maschinerie zu kommen, wo man derartig hilflos zusehen muss. Die Globalisierung wird da sicher noch viel mehr und eben weniger gewohnte Menschenrechte für den Einzelnen mit sich bringen. So manchem ist jeglicher Respekt zwar bereits heute abhanden gekommen aber da werden wir alle in Zukunft wohl noch mächtig dazulernen müssen.