So kamen die Neutrinos und Holger Thorsten Schubart zusammen
Es war ein langer Weg, bis Holger Thorsten Schubart und die Neutrino-Energie zusammenfanden. Eine Lebenskrise half dabei.
Das erste Mal, als Holger Thorsten Schubart von den → Neutrinos hörte, war er noch ein Kind. Sein Vater Bernd Schubart, ein westdeutscher Kernphysiker im Dienste des Göttinger Technologiekonzerns → Sartorius stand, warnte immer vor den Gefahren der Atomenergie. Und sprach von Alternativen. Unter anderem wenig erforschte Strahlen aus der Sonne. Unsichtbare Strahlen, welche die Menschheit eines Tages von allen Energieproblemen befreien könnten.
Holger Thorsten Schubart machte das Abitur in Göttingen und leistete seinen Wehrdienst ab. Dann fiel der eiserne Vorhang und Schubart eroberte auf friedliche Weise die untergegangene DDR. Als Immobilienentwickler. Der Aufbau Ost lockte mit traumhaften Chancen. Schubart gründete mit Partnern einen Baustoffhandel.
Weitere Firmen folgten bald, die sich den Geschäftsfeldern Ingenieurtechnik, Planung, Bau und Immobilienhandel widmeten. Schubarts Firmengruppe war im ganzen Osten aktiv: Berlin, Leipzig, Dresden, Halle etc. Schubart machte mit der Privatisierung des sozialistischen Eigentums Wohnungen.
Schubart hatte ein Näschen für gute Geschäfte. Er verdiente als junger Mann Millionen und lebte entsprechend, kaufte sich Häuser in Spanien und Südfrankreich, sammelte Sportwägen, Uhren und teuren Schmuck. „Ich hatte Ringe für 150.000 DM an den Fingern und fuhr einen gelben Ferrari.“ Schubart war unter 30.
Von 1991 bis 1998 verdoppelten sich die Umsätze seiner Firmen monatlich. Dann kam die Katastrophe. Schubart wurde beschuldigt, im großen Stil Steuern hinterzogen zu haben. Er war sich jedoch keiner Schuld bewusst und ignorierte die ersten Vorstöße des Finanzamts. Ein gravierender Fehler, wie sich später herausstellte. Die Polizei rückte an und drehte jedes Büro und jede Wohnung um. Weil Schubart nicht zahlte, löste die Finanzbehörde ein Insolvenzverfahren aus, das Schubarts riesiges Entwicklungsprojekt auf dem Gelände von Göttingens → Zietenkaserne zum Stoppen brachte. Ein Insolvenzverwalter entschied, dass der millionenteure Rohbau null Euro wert war. Plötzlich hatte Schubart ein riesiges Ermittlungsverfahren wegen Betrugs am Hals und verstand die Welt nicht mehr. Es kam zur Verhaftung in Südfrankreich, wohin sich Schubart genervt zurückgezogen hatte.
Das Drama und die insgesamt fünfjährige Haftzeit von Holger Thorsten Schubart in diversen Gefängnissen habe ich hier aufgearbeitet:
Derzeit arbeitet Schubart mit seinen Anwälten an der Wiederaufnahme der Verfahren, die ihn ins Gefängnis brachten und hofft auf eine Rehabilitierung, weil er sich bis heute unschuldig fühlt.
Aus der jahrelangen Haft entlassen, musste Schubart bei null anfangen. Sämtliche Vermögenswerte waren weg. Die Familie zerbrochen. Sein Vater verstorben, ohne dass er an der Bestattung teilnehmen durfte. Doch Schubart kämpfte sich aus dieser Lebenskrise zurück. Denn sein untrügliches Gespür für gute Deals konnte ihm keiner wegnehmen.
Für ein Schweizer Unternehmen begann er sündteure Lautsprecheranlagen zu verkaufen und erntete von seinem Auftraggeber höchste Bewunderung. Er wurde im Berliner → Ritz-Carlton-Hotel einquartiert, um dort seiner betuchten Klientel möglichst nahe zu sein. Dort begann er auch gleich damit, Ferraris zu verkaufen, es macht ja auch Sinn. Schubart: „Innerhalb weniger Wochen quoll mir das Geld wieder aus den Taschen.“ Nach einem halben Jahr fuhr er seinen eigenen Luxuswagen, einen schwarzen → Ferrari 612 Scalietti. Das war 2008. Beflügelt von den geschäftlichen Erfolgen mietet sich Schubart im Hotel Adlon ein.
In seinem neuen Showroom wurde wieder geprotzt wie in alten Zeiten. Goldfarbene Wände, schwarze Vorhänge. Schubart gründete die Firma Golden Towers. Der Name war Programm. „Wir handelten mit allem, was teuer ist: Luxusimmobilien, Sportwägen, Schmuck.“
Aber irgendwie fühlte sich das alles nicht wie früher an, erinnert sich Schubart heute. Da war eine Leere. Schubart wusste zunächst nicht, womit er diese Leere ausfüllen könnte. Ein Zufall sollte ihn die Lösung bringen.
Für seinen Schweizer Lautsprecher-Lieferanten hatte Schubart wieder mal in Zürich zu tun. Und erinnerte sich vor einer dieser Reisen an den Freund seines Vaters, einen Physikprofessor, der über Strahlen und Wellen forschte. Der war nach seiner Verrentung in die Alpen gezogen, um dort den Lebensabend zu genießen. Nun stand plötzlich der Sohn seines alten Freundes vor seiner Tür und wurde herzlich empfangen. „Ich mache jetzt in Neutrino“, sagte der Mann zu Schubart. Und zeigt ihm die erste Folie, mit der versucht wurde, Energie aus der Neutrino-Strahlung freizusetzen. Schubart war wie vom Blitz getroffen: „Es dauerte eine Weile, bis ich die Dimension dieser Erkenntnisse begriff.“
Vaters Freund machte Schubart mit dem aktuellen Stand der Neutrino-Forschung vertraut und nannte ihm die Namen der wichtigsten Wissenschaftler, die daran arbeiteten. Der Kontakt wurde immer enger und zwei Jahre nach dem ersten Treffen in St. Gallen übergab ihm der Professor sein gesamtes wissenschaftliches Vermächtnis. Er gab Schubart noch eine guten Rat mit auf den Weg: „Wer das Patent auf meine Folie anmeldet, wird nicht lange leben.“
Schubart: „Das reizte mich. Ich kam aus dem Knast und hatte nichts zu verlieren.“
Schubart nahm mit allen erreichbaren Wissenschaftlern Kontakt auf, die erreichbar waren. Und sicherte sich die Markenrechte auf alles Erdenkliche, was man mit der Neutrino-Energie anstellen kann. Zum Beispiel Fahrzeuge. „Das Ziel ist eines Tages E-Autos mit Neutrino-Energie anzutreiben.“
Alles lief gut. Bis 2014, als sich Schubart dazu bewegen ließ, als Sponsor des Bundespresseballs mit seinem Neutrino-Projekt im Gebäude des Tempelhofer Flughafens aufzutreten. Schubart unterzeichnete einen Sponsorenvertrag, konnte aber nur eine Anzahlung leisten, weil ihm sicher gewähnte Einnahmen plötzlich weggebrochen waren. Die Zeitung „Tagesspiegel“ (Geschäftspartner des Bundespresseballs) berichtete über die Zahlungsverzögerung und nährte Zweifel an der Neutrino-Technologie. Erschrocken sprangen Geldgeber der Neutrino-Forschung ab. Schubart: „Keiner wollte mehr mit mir arbeiten.“ Unerbittlich verklagte Angela Wefers, Redakteurin der Börsenzeitung und Vorsitzende des Vereins der Bundespressekonferenz, Schubart und zeigt ihn wegen Betrugs an. Die Polizei ermittelte und die Staatsanwaltschaft erhob Anklage.
Wie die einflussreiche Chefin der Bundespressekonferenz Schubart erledigen wollte und das Neutrino-Projekt wegen eines Artikels im Tagesspiegel beinahe unterging erzähle ich hier:
Wieder einmal stand Schubart vor einem Trümmerhaufen. Ein reicher Unterstützer aus der Immobilienwirtschaft verhinderte den endgültigen Absturz des Neutrino-Projekts.
Im Oktober 2015 geht der Nobelpreis für Physik an die beiden Wissenschaftler Takaaki Kajita und Arthur McDonald „für die Entdeckung der Neutrinooszillation, die zeigt, dass Neutrinos Masse besitzen“. Schubart gewinnt Oberwasser, es fließt wieder Geld in die Weiterentwicklung.
Dann kommt das Treffen, von dem Schubart bis heute zehrt. Ein Händedruck von Arthur McDonald im Sommer 2017, als der Nobelpreisträger an der TU Dresden einen Vortrag hält. McDonald warnte Schubart mit den Worten: „Sei Dir bewusst, dass du dich mit den Mächtigsten der Welt anlegst.“ Da wusste Schubart, dass alles richtig war, was er tat.
Illustration → Marjorie Monnet